Urbauer
Städter
oder Urbauer?
Das Dasein als Urbauer - das ist ein Bauer, der nur sich selbst versorgt und
nicht so blöd ist, noch bis zu einem halben Hundert Herren- und Lakaienmäuler
in den Metropolen zu stopfen - ist schlicht genial!
Wenn ich in Zürich existieren will, muss ich die Nahrung kaufen. Sie ist von
der Agrar- via Lebensmittelindustrie und Zwischenhandel im Gestell des
Selbstbedienungsladens gelandet. Alle haben kräftig abgesahnt. Ich bezahle
die ganze Zeche. Und obendrein muss ich Aufbau und Unterhalt der für den
Zirkel und die Wasserköpfe erforderlichen gewaltigen Infrastruktur
mitfinanzieren. Um solvent zu sein, muss ich mich irgendeinem Arschloch
verkaufen oder einen Einfältigen übers Ohr hauen. Die Maschinen der Fabriken
legen den Takt vor. Ein unendlicher Stress herrscht, um das Rohmaterial zum
Fliessband und das Endprodukt zum Konsumenten zu schleusen. Jeder überschreit
jeden, um seine Ware als die Beste anzupreisen. Erziehung und Medienterror
waschen mein Gehirn. Gestank und Lärm verpesten die Umwelt. Die Technik und
ihr Zerstörungspotential speien Tod und Verderben. Die nationalen und
globalen Ungleichgewichte reissen einen Konflikt, einen Krieg nach dem andern
vom Zaune. Hilf- und machtlos bin ich dem Irrsinn, Getümmel und Leerlauf
ausgeliefert.
Hier in Knezevac spanne ich locker mein Pferd vor den Pflug, ziehe die
Furchen, setze die Kartoffeln und mein übriges Gemüse, jäte gelegentlich,
ernte im Überfluss, brate und koche einen Teil laufend auf meinem Holzherd
und versorge den Rest als Vorrat im Keller. Oder ich strecke im Obstgarten
einfach die Hand aus. Alles wächst gratis! Die Milch meiner beiden Ziegen und
der daraus bereitete Käse schmecken köstlich. Die Hühner zeigen mir durch
Gackern an, wo sie ihre Eier für mich versteckt haben. Ich streife durch Feld
und Wald und labe mich an den wilden Beeren. Alles ist für den Menschen wie
geschaffen. Der Zauber der Natur übertrifft die zivilisatorischen
Errungenschaften. Niemand treibt mich an, niemand macht mir meine kleine
Scholle streitig. Sie ist nicht mit Chemie, sondern, mit Pferde-, Schaf-,
Ziegen- und Hühnermist gedüngt. Keine Reklamen, keine Preisetiketten, keine Produktinformationen,
kein Zwischenhandel, keine Infrastruktur, keine Staatsverwaltung, keine
Fabrikanten samt Adlaten sind allgegenwärtig. Ich brauche nicht beständig
nach dem Portemonnaie zu greifen. Das Leben ist überschaubar.
Mit missbrauchter Technik, dem Industriezeitalter und seinen Auswüchsen ist
zweifellos die bisher grösste Tragödie und Katastrophe über die Menschheit
hereingebrochen.
Ich sitze in der Küche
unseres kleinen Häuschens. Es ist Jagdzeit. Mein Nachbar hat vor ein paar
Tagen 5 Hasen geschossen und uns einen geschenkt. Wir haben ihn in Wein
eingelegt und gestern im Tontopf mit vielerlei Zutaten gar gekocht. Jetzt
habe ich gerade seinen Kopf verschlabbert. Zacki, unsere Hündin, wird sich
über die Knochen freuen.
Mit Mera, meiner Stute, mache ich häufige Ausritte. Ein Zaumzeug braucht es
nicht. Sie reagiert zuverlässig auf den rechts und links am Halfter
befestigten Strick, die Fusshilfen und Zurufe. Querfeldein geht's über
abgeerntete Äcker und Wiesen oder durch die unberührte Landschaft. Ich
trainiere sie, damit ich mich in zwei, drei Jahren ohne Sattel und Halfter
auf sie schwingen und losreiten kann.
Der Umgang mit meinen Nachbauern ist herzlich und unkompliziert. Unabhängig
davon, dass sie sich ihr Leben vollkommen unnötig erschweren, indem sie die
Städter füttern, sind sie alle Meister ihres Faches und ich profitiere von
ihren Erfahrungen, welche auf jahrhundertalten Traditionen gründen.
Am westlichen
"Standard" gemessen hause ich hier unheimlich "primitiv".
Was für die meisten Menschen unerträglich wäre, ist für mich eine regelrechte
Erleichterung. Ich bleibe davon verschont, all diesen enormen (und perversen)
Aufwand betreiben zu müssen, um elegant, modisch, gepflegt oder sonst wie zu
erscheinen.
Natürlich behaupte ich nicht, das Paradies gefunden zu haben. Auch mir bleibt
nichts erspart, was dem Menschen, egal ob Urbauer oder Stadtbewohner, eigen
ist. Das alles teile ich mit allen Menschen. Lebensqualität und Bewusstsein
jedoch, welche mit dem Urbauerntum verbunden sind, sind unüberbietbar.
Wenn die Menschen in den Metropolen das genau umgekehrt sehen, macht mir das
allerdings nicht die geringste Mühe.
So - nun habe ich wieder einmal ein bisschen resümiert. Es ist wenig und wohl
kaum nachvollziehbar. Aber es gehört gerade eben auch zu diesem anderen
Leben, dass es nicht beschrieben, sondern nur ge- und erlebt werden kann.
Schreiber und Urbauer zu
sein, schliessen sich aus. Es reizt mich denn auch nur noch sporadisch, mit
Glossen über jene herzufallen, mit welchen ich mich damals in Alpengermanien
täglich herumgebalgt habe, wobei hüben und drüben zentnerweise mit Buchstaben
übersäte Makulatur produziert worden ist.
Was für ein Blödsinn das doch gewesen ist!
Herbst 2003
Edmund
Schönenberger
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